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zum Gesetzentwurf zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung

Hier: Position zum Gesetzentwurf der Bundesregierung und zur Stellungnahme des Bundesrates vom 23.9.2016

 

A. Tenor der Stellungnahme

Der Deutsche Richterbund zweifelt daran, dass das Ziel des Gesetzgebers, die Vermögensabschöpfung zu vereinfachen, durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung erreicht werden kann. Der Richterbund teilt die Bedenken des Bundesrates (Stellungnahme vom 23.9.2016, Drucksache 418/16) und hofft, dass der Deutsche Bundestag die Beratungen zu diesem Gesetzesvorhaben mit der gebotenen Gründlichkeit durchführt, um sicherzustellen, dass die Regelungen zur Vermögensabschöpfung rechtsstaatlich abgesichert und praxisgerecht  sind.

B. Bewertung im Einzelnen

Insolvenzrechtliche Auswirkungen
Der Deutsche Richterbund schließt sich insbesondere den Bedenken des Bundesrates zu den insolvenzrechtlichen Auswirkungen des Gesetzesvorhabens an und fordert den Bundestag auf, bis zur Klärung der aufgeworfenen Fragen die Beratungen anzuhalten.
Es muss durch den Gesetzgeber ausdrücklich geklärt werden, inwieweit Gläubiger mit Ansprüchen, welche nicht aus dem Strafverfahren stammen, im Insolvenzverfahren hinter den Ansprüchen von Opfern von Straftaten zurückstehen müssen. Dabei müssten zunächst die Voraussetzungen, unter denen die Staatsanwaltschaft antragsberechtigt bzw. -verpflichtet ist, in § 111i Abs. 2 StPO n.F. deutlich schärfer herausgearbeitet werden.


Wertungswiderspruch des Verletztenbegriffs zu §§ 154, 154a StPO und Mangelfall
Der Gesetzentwurf geht davon aus, dass Verletzter derjenige ist, dem ein Anspruch auf Rückgewähr des Erlangten aus der Tat erwachsen ist, §§ 73d StGB n.F., 111i, 459g Abs. 3 StPO n.F. Dabei geht die Begründung davon aus, dass ein Geschädigter im Laufe des Verfahrens die Stellung als Verletzter verlieren kann, wenn diejenige Tathandlung oder derjenige Tatteil, der ihn verletzte, nach §§ 154, 154a StPO ausgeschieden ist (Gesetzentwurf S. 57).  Diese Regelung ist dringend notwendig, da ansonsten die für die Arbeitsfähigkeit der Strafjustiz unabdingbare Begrenzung des Ermittlungs- und Strafverfahrens auf Taten oder Tatteile, welche noch übersichtlich zu handhaben sind, aufgegeben würde. Eine nicht hinnehmbare Mehrbelastung der Strafjustiz wäre die Folge.

Die Regelung führt jedoch dazu, dass Geschädigte, je nachdem, ob sie bis zum Urteil als „Verletzte“ am Verfahren teilnehmen dürfen oder nur als Geschädigte in diesem geführt werden, erheblich unterschiedliche Rechtspositionen eingeräumt bekommen. Während dem Verletzten ohne Titel nach Anmeldung und einfacher Vorlage von Urkunden bei der Vollstreckungsbehörde der Anspruch auf Bereicherungsausgleich gewährt wird, §§ 459j, k StPO n.F., bleibt dem Geschädigten nur der übliche Zivilrechtsweg. Diese Lösung, nach welcher im Ermittlungsverfahren unter Gesichtspunkten, welche ausschließlich verfahrensökonomischer Natur sind, Rechtspositionen geschaffen oder verkürzt werden, dürfte bei Ermittlungsverfahren im Betrugsbereich die Regel werden. Da ein Eingriff in die Entschließungsfreiheit der Staatsanwaltschaft und der Gerichte von den Möglichkeiten der §§ 154, 154a StPO Gebrauch zu machen, ausscheidet, muss eine Lösung im Recht der Vermögensabschöpfung gefunden werden. Es muss zumindest ausdrücklich sichergestellt werden, dass aus der Entscheidung, einen Geschädigten als Verletzten auszuscheiden, kein Anspruch gegen den Staat erwächst.
Außerdem muss eindeutig klargestellt werden, ob ein Mangelfall auch dann vorliegt, wenn die sichergestellte Vermögensmasse zur Rückgabe an Verletzte ausreicht, nicht jedoch, um alle Geschädigten des Täters aus dieser – oder ähnlichen Taten zu befriedigen. Gesetzlich zu regeln ist, ob auch einem Geschädigten der Anspruch aus § 459m StPO  n.F. zusteht und in welcher Nähe zur abgeurteilten Tat er stehen muss, um diesen Anspruch geltend machen zu können.


Strafe oder quasi-kondiktioneller Anspruch
Dem Entwurf fehlt eine klare Aussage dazu, ob es sich bei der Vermögensabschöpfung um Strafe oder um einen quasi-kondiktionellen Anspruch handelt.
Nach Aufbau und Begründung geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Vermögensabschöpfung keine Strafe darstellt, sondern einen quasi-kondiktionellen Charakter hat. Dies erstaunt, da die Vermögensabschöpfung in weiten Teilen – insbesondere die Abschöpfung im Betäubungsmittelhandel – gerade nicht dem Ausgleich ungerechtfertigter Bereicherung dient, sondern den Einsatz für ein Geschäft, welches von den Vertragsparteien gewollt wird und durchgeführt werden soll und welches „nur“ verboten ist, abschöpft. Es erstaunt jedoch insbesondere deshalb, weil das Gesetz auch der Umsetzung der Richtlinie 2014/42/EG vom 3.4.2014 dienen soll. Insbesondere die Ausdehnung der erweiterten Einziehung in § 73a StGB n.F. wird mit den Vorgaben der Richtlinie begründet (Gesetzentwurf S. 71 ff.). Die Richtlinie gründet auf der Kompetenz der Union aus Art. 82 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1 AEUV.  In diesen wird der Union die Kompetenz zugesprochen, Mindestvorschriften für „Rechte der Opfer im Strafverfahren“ (Art. 82 Abs. 2 b) bzw. Mindestvorschriften „zur Festlegung von Straftaten und Strafen im Bericht „besonders schwerer Kriminalität“ festzulegen (Art. 83 Abs.1). Die Richtlinie kann daher Regelungen, welche über die Rückgabe von aus Straftaten Erlangtem an Opfer hinausgeht, nur auf die Kompetenz für Mindestvorschriften bei Strafen stützen. Eine Kompetenz der Union für die Regelung quasi-konditioneller Ansprüche besteht nicht.

Die Umsetzung der Richtlinie kann daher nur im Strafrecht erfolgen. Der von der Bundesregierung gewählte Weg, auch solche Ansprüche, welche nicht zur Rückgabe von Erlangtem beim Opfer führen, als quasi-kondiktionell zu bezeichnen, führen nicht zur Umsetzung der Richtlinie.
Dies hat nicht nur theoretische Auswirkungen. So bleibt offen, ob eine Einziehung im selbstständigen Einziehungsverfahren gemäß § 435 StPO n.F. als Strafe in Umsetzung der Richtlinie einem europäischen „ne bis in idem“ unterliegt. Unklar ist auch, inwieweit die europäischen Grundrechte im Strafverfahren – Art.  48, 49 Charta –, welche nach der Umsetzung der Richtlinie in das deutsche Recht unmittelbar gelten (vgl. Urteil des EuGH in Hans Åkerberg Fransson, C-617/10), den Beweisanforderungen der §§ 73a, 76 a Abs. IV StGB n.F. genügen. Hier sollte im Gesetz eindeutig Klarheit geschaffen werden.


Bruttoprinzip
Die Änderung des Wortlautes von § 73 StGB n.F. hat die erwartete Klarstellung, was einzuziehen ist, nicht gebracht. Es ist weiterhin unklar, was der Tatbeteiligte „durch“ die Tat erlangt hat. Die Entscheidung, was der Abschöpfung unterliegt, ist keine Frage der Kausalität, sondern eine der „Unmittelbarkeit“. Dabei bietet das zivilrechtliche Bereicherungsrecht schon deshalb keine Ansätze zur Klärung, weil es auf die Beziehung der Parteien zueinander abstellt, während die strafrechtliche Vermögensabschöpfung gerade dann greifen soll, wenn, wie im Falle des Betäubungsmittelhandels, das Geschäft zwischen den Parteien durchaus gewollt ist.

Unklar bleibt auch, inwieweit § 73d StGB n.F., welcher nach der Begründung Aufwendungen bei fahrlässiger Begehungsweise in Ansatz bringen soll (Gesetzentwurf S. 79), Klarheit bei der Frage, was „durch“ eine Tat erlangt wurde, bringen kann. Denn bevor über den Abzug von Aufwendungen entschieden werden kann, muss zunächst ermittelt  sein, was das Erlangte ist.
Bei der Vielzahl von Delikten, insbesondere auch aus dem Bereich der Wirtschafts- und Umweltkriminalität, bedarf es zudem einer Vorgabe durch den Gesetzgeber, inwieweit der Normzweck, der durch die Strafnorm bezweckte Rechtsgüterschutz, in Ansatz zu bringen ist. Zu überlegen ist auch, ob konkret für Handlungen, welche deshalb strafbewehrt sind, weil eine erforderliche Genehmigung fehlt, eine klare gesetzliche Vorgabe erforderlich ist, ab welcher Tatvariante der gesamte Umsatz eingezogen werden muss.


Keine Einziehung bei staatlichen Gebühren
Der Deutsche Richterbund betont noch einmal, dass es keine endgültige Einziehungsentscheidung in Fällen hinterzogener Steuern oder Sozialabgaben geben darf. Für die Festsetzung dieser Ansprüche gibt es besondere Verwaltungsverfahren mit eigener Fachgerichtsbarkeit, deren Zuständigkeit auch dann gewahrt bleiben muss, wenn Straftaten im Raum stehen. Aufgabe der Strafverfolgungsorgane kann nur sein, für Finanzbehörden oder Renten- oder Krankenkassen im Rahmen von Ermittlungsmaßnahmen vorgefundenes Vermögen zu sichern und deren Zugriff zu ermöglichen. Dies muss in der StPO durch eine Frist, nach welcher die Wirkung von Beschlagnahme und Vermögensarrest bei Steuerhinterziehung und Vorenthalten von Arbeitsentgelt endet, sichergestellt werden.


Absehen von Einziehung, §§ 421 StPO n.F.  i.V. mit § 111b StPO n.F.
Die Verpflichtung, außer in Fällen des § 421 StPO n.F. Vermögensabschöpfung durchzuführen, wird zu einer erheblichen Mehrbelastung der Strafjustiz führen. So wird die Verpflichtung aus § 111b StPO n.F., welche zu Beginn des Verfahrens zumeist durch Polizeibeamte vor Ort zu einer Sicherungsmaßnahme führen wird, die Staatsanwaltschaften zwingen, sich auch bei Armuts- und Elendskriminalität, bei völlig unübersichtlichen finanziellen Verhältnissen oder weitgehender Wertlosigkeit der sichergestellten Gegenstände in ein Abschöpfungsverfahren zu begeben. Dies führt erfahrungsgemäß zu umfangreichen und zeitraubenden Kontakten mit Geschädigten und Beschuldigten, ohne dass am Ende wesentliche Werte eingezogen werden können. Die Belastung für die Strafjustiz wird, auch wenn durch Erlasse die Wertgrenzen für den geringen Wert gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 1 StPO n.F. hoch angesetzt werden, erheblich sein, die Verfahren werden verzögert werden.

Dies sieht auch der Gesetzgeber, indem er eine Abtrennung der Einziehung gemäß § 422 StPO n.F. ermöglicht, um das eigentliche Strafverfahren nicht zu belasten. Warum er trotzdem, und trotz des von ihm erwarteten beträchtlichen Anstiegs der Verfahrenszahlen nur einen Mehrbedarf bei Rechtspflegern sieht (Gesetzentwurf S. 3), erschließt sich dem Deutschen Richterbund nicht. 


Verteilungsverfahren, § 459j StPO n.F.
Auch wenn der Ansatz des Gesetzgebers, Verletzten ohne Titel zu einem Anspruch auf Rückübertragung zu verhelfen, opferfreundlich erscheint, wird dies nur in einfach gelagerten Fällen tatsächlich umzusetzen sein. Diese Fälle werden heute schon vielfach durch Verzicht des Täters auf den Gegenstand und Rückgabe an das Opfer unbürokratisch geregelt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass in vielen Fällen der Massenkriminalität die Frage des Anspruchs gegen den Täter aus der abgeurteilten Straftat und in das sichergestellte Vermögen hoch komplex ist und oft nur im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens gelöst werden kann. 

Unklar ist auch, wie das Rückgabeverfahren durchgeführt werden soll, wenn ein Einziehungsbetrag im Urteil festgestellt wurde, welcher über dem Betrag liegt, der sichergestellt werden konnte. Die Vollstreckung der Einziehung erfolgt dann gemäß § 459g Abs. 2 StPO n.F. nach den Vorschriften der Geldstrafenvollstreckung bis zum Ende der Vollstreckungsverjährung. Zwar wird erst nach Eintritt der Vollstreckungsverjährung festzustellen sein, dass ein Mangelfall vorliegt, die Staatsanwaltschaft muss jedoch bereits vorher prüfen, ob sie Insolvenzantrag stellen muss, § 111i Abs. 2 StPO n.F. Hier geht der Gesetzentwurf davon aus, dass ein solcher Antrag bei Anklageerhebung oder Rechtskraft des Urteils erfolgen soll (Gesetzentwurf S. 94). Dies dürfte zu einer erheblichen Anzahl von Insolvenzverfahren führen, bei denen sich nachträglich herausstellt, dass kein Mangelfall vorlag. Die dann gemäß § 459m StPO n.F. zu erfolgende Verteilung des Überschusses nach dem Windhundprinzip nur unter denjenigen Verletzten, die einen Titel vorlegen können, überzeugt nicht.