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zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten

 

A. Tenor der Stellungnahme

Der Deutsche Richterbund begrüßt die Entkoppelung von Unterbringung und ärztlicher Zwangsmaßnahme im Betreuungsrecht durch Schaffung jeweils eigenständiger materiell-rechtlicher Normen mit jeweils eigenem richterlichem Genehmigungsvorbehalt.

Nicht mehr vertretbar erscheint hingegen, dass verfahrensrechtlich (§ 312 Satz 1 FamFG-E) die ärztliche Zwangsmaßnahme – in direktem Widerspruch zu dem Anliegen des Referentenentwurfs – als Unterbringungssache definiert wird.

B. Bewertung im Einzelnen

Der vorliegende Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes von Betreuten stellt eine unmittelbare Reaktion auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 26.07.2016 (Aktenzeichen: 1 BvL 8/15) dar. Im Kern befasste sich die Entscheidung mit den aus den Grundrechten folgenden staatlichen Schutzpflichten in Bezug auf das Betreuungsrecht: Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes folgerte das Bundesverfassungsgericht eine Pflicht des Staates, „unter engen begrenzten Voraussetzungen Schutzmaßnahmen bis hin zu medizinischen Zwangsbehandlungen für bestimmte unter Betreuung stehende Menschen vorzusehen“. Diese zunächst eher allgemeine Aussage konkretisierte das Bundesverfassungsgericht dahingehend, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen nicht allein bei im verfahrenstechnischen Sinne untergebrachten Betroffenen, sondern auch bei solchen Menschen möglich sein müssen, die „sich in stationärer Behandlung befinden und sich aus eigener Kraft nicht mehr räumlich entfernen können“. Diese Kernaussage führte zu einem unmittelbaren gesetzgeberischen Handlungsauftrag, da jene Konstellation bislang nicht von der Regelung in § 1906 Abs. 3, 3a BGB erfasst ist und die vom Bundesverfassungsgericht bejahte analoge Anwendung auf die genannte Konstellation wegen des Primats des Gesetzesvorbehaltes zeitlich begrenzt sein muss.

Inhaltlich folgt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes eine zwingende Notwendigkeit der Trennung von Unterbringung und ärztlicher Zwangsmaßnahme, wie sie mit dem Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18.02.2013 (BGBl. I 2013, S. 266 f.) eingeführt worden war. Eben jene Trennung, in der Begründung des Referentenentwurfs „Entkoppelung“ genannt, soll nun eingeführt werden. Das ist inhaltlich vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zu begrüßen, doch ergeben sich Kritikpunkte an der systematischen Ausgestaltung.

Die angesprochene Trennung der ärztlichen Zwangsmaßnahme von Unterbringung geschieht im materiellen Recht durch die Schaffung eines neuen
§ 1906a BGB-E. In der Folge werden im § 1906 BGB-E singulär die Unterbringung und die sogenannten unterbringungsähnlichen Maßnahmen sowie in der neu zu schaffenden Vorschrift ausschließlich die ärztliche Zwangsmaßnahme behandelt. Dies geht prinzipiell in die richtige Richtung, doch wäre eine Ansiedlung der Regelung in der Nähe von § 1904 BGB inhaltlich sinnvoller gewesen, um die Trennung von Unterbringung und Behandlung deutlicher zu machen.

Diese Kritik wird fundamental im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Ausgestaltung im vorgeschlagenen Entwurf. Nach dem Entwurf soll in § 312 FamFG-E, der bekanntlich einleitet „Unterbringungssachen sind“, weiterhin die ärztliche Zwangsmaßnahme verortet sein. Dies erscheint vor dem Hintergrund der genannten Prämisse der Trennung der beiden Institute nicht mehr vertretbar. Die ärztliche Zwangsmaßnahme muss nachgerade zwingend in einem eigenen Abschnitt des Dritten Buches des FamFG angesiedelt sein. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich der Begriff der ärztlichen Zwangsmaßnahme auseinanderdividiert, nämlich in einen entkoppelten Begriff der ärztlichen Zwangsmaßnahme (§ 1906a BGB-E) sowie in einen weiterhin unterbringungsdominierten Begriff der ärztlichen Zwangsmaßnahme (§§ 312 ff. FamFG-E). Dieser Bruch kann zu weiteren Auslegungsschwierigkeiten in der Praxis führen.

Längst überfällig war, dass die Regelung zur Bestellung eines Verfahrenspflegers im Verfahren über die Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme aus der Vorschrift über die Begriffsbestimmung herausgenommen wurde.

Die wesentlichen Voraussetzungen für die ärztliche Zwangsmaßnahme des neu zu schaffenden § 1906a BGB entsprechen der bisherigen Rechtslage und der dazu ergangenen Rechtsprechung und sind daher nicht durchgreifend zu kritisieren. Unglücklich ist aber, dass in § 1906a BGB zwar der Regelungsgehalt der bisherigen Absätze 3, 3a übernommen wird, dass allerdings die Reihenfolge der Ziffern gänzlich verändert wurde. Begrüßenswert ist die Konkretisierung der Voraussetzungen des Überzeugungsgesprächs in Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 der neuen Vorschrift. Sie entsprechen wörtlich dem bereits 2013 in der amtlichen Begründung aufgeführten Charakter des Gesprächs und sind letztlich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2011 zurückzuführen. Entscheidungen des BGH (v. 04.06.2014 – XII ZB 121/14; v. 30.07.2014 – XII ZB  169/14) zeigen indes, dass die Einhaltung dieser Vorgabe der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Im Besonderen sind die Schwierigkeiten in Verfahren über die Verlängerung einer genehmigten ärztlichen Zwangsmaßnahme zu beobachten. Des Weiteren sollte erwogen werden klarzustellen, dass aufgrund ihrer verfahrensrechtlichen Stellung weder das Betreuungsgericht noch gerichtlich bestellte Sachverständige Überzeugungsversuche durchführen dürfen.

Die ambulante Zwangsmaßnahme wird weiterhin nicht eingeführt. Dies erscheint vor dem Hintergrund vertretbar, dass durch die neue Regelung etliche Fälle rein somatischer Erkrankung nunmehr in darauf spezialisierten Kliniken behandelt werden können, sodass sich der Anwendungsbereich einer eventuellen ambulanten Zwangsbehandlung gegenüber der jetzigen Gesetzeslage reduziert.

Sehr begrüßenswert ist, dass in § 1906 Abs. 4 BGB nunmehr der Genehmigungsvorbehalt für sogenannte unterbringungsähnliche Maßnahmen unabhängig davon besteht, dass die Betroffenen im technischen Sinne untergebracht sind oder nicht. Dies entspricht dem Stand der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (zuletzt vor allem BGH v. 28.7.2015 – XII ZB 44/15). Eine aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes herrührende Unsicherheit wird so beseitigt.

Die weiter vorgesehenen Änderungen von §§ 313, 327, 328, 330, 331, 337 FamFG sind lediglich redaktioneller Art, ebenso wie die in Art. 3 – 5 des Entwurfes aufgeführten Änderungen weiterer Gesetze. Sie ergeben sich aus den eingangs geschilderten Änderungen und sind nicht zu kritisieren.