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zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die „strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug“ KOM (2012) 363 final

 

Der Deutsche Richterbund begrüßt den Vorschlag der Kommission zu einer Richtlinie über die "strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der EU gerichtetem Betrug" (KOM 2012) 363 final) als einen ersten Schritt, um Straftaten gegen die Union wirksam und gleichmäßig bekämpfen zu können. In einer Zeit, in welcher der Union eine immer größere Bedeutung bei der Währungs- und Finanzpolitik der Union und ihrer Mitgliedstaaten zuwächst und sie in erheblichem Umfang auch in das aktuelle Finanzgeschehen eingreift, ist es unabdingbar, die vorhanden Rechtslücken zu schließen und die finanziellen Interessen der Union - und damit der Bürger der Union - auch strafrechtlich zu schützen.

Der Deutsche Richterbund erlaubt sich jedoch zunächst den Hinweis, dass die in der Begründung des Vorschlags aufgestellte Sanktionenübersicht der einzelnen Mitgliedstaaten (Richtlinienvorschlag Begründung 1.1) in sich nicht schlüssig ist. So werden z.B. für Belgien Steuergesetze zitiert, aus denen sich die Strafbarkeit für Betrug zum Nachteil der Union ergeben soll. Die deutsche Rechtslage wird dagegen ausschließlich mit einem Rückgriff auf den allgemeinen Betrugstatbestand, § 263 StGB, wiedergegebenen. Der Subventionsbetrug, § 264 StGB, der durch Abs. VII Nr. 7 auch auf Subventionen, die von der Union gewährt werden, und die Steuerhinterziehung, § 370 AO, die gleichfalls ausdrücklich auch auf die Hinterziehung „europäischer“ Steuern und Zölle Anwendung findet, § 370 Abs. VI, VII AO, bleiben unerwähnt. Nicht aufgeführt ist auch die Erweiterung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle auf 10 Jahre Freiheitstrafe, der für alle drei der genannten Tatbestände erfolgt ist, §§ 263 Abs. III StGB, 364 Abs. II StGB, 370 Abs. III AO. Dieser Irrtum entzieht dem Vorschlag der Kommission zur Errichtung eines europäischen Rechtsinstruments zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union nicht den Boden. Rechtsvereinheitlichung auf diesem Gebiet rechtfertigt sich aus den Taten heraus.
Der Irrtum zeigt jedoch zweierlei: die Tatsachenbasis, auf welcher der Vorschlag fußt, ist nicht ausreichend genug gesichert, um über die vorliegende Richtlinie in das Recht der Mitgliedstaaten über die Regelung von Tatbeständen zum Schutz der finanziellen Interessen hinaus einzugreifen. Es muss daher, auch gegenüber dem deutschen Gesetzgeber, sichergestellt werden, dass das künftige Rechtsinstrument ausschließlich auf Straftaten angewandt wird, die zum Nachteil der Union erfolgen. Das darüber hinausgehende nationale Strafrecht zur Bekämpfung von Betrug, Subventionsbetrug und Steuerhinterziehung muss durch die Richtlinie unberührt bleiben. Es wäre zu überdenken, ob dies nicht besser durch eine in sich geschlossene Verordnung, die keiner Umsetzung bedarf, erfolgen könnte.
Zum anderen zeigt die fehlerhafte Straftatenübersicht, dass „Betrug“ als Oberbegriff nur unzureichend geeignet ist, Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union zu definieren. Erforderlich hierfür ist ein Ansatz, der zunächst definiert, welche Rechtsgüter mit finanziellem Bezug der „Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen“ (Art. 325 Abs. IV S.1 AEUV) zu schützen sind, um diesen Schutz dann strafrechtlich auszugestalten. Es wird nicht ausreichen, dies auf Betrugstatbestände zum Nachteil des Haushalts der Union zu begrenzen. Der Deutsche Richterbund unterstützt daher ausdrücklich die Forderung des Europäischen Rechnungshofes (Stellungnahme Nr. 8/2012 vom 12.12.2012), den Begriff der finanziellen Interessen zu überarbeiten und auf Handlungen der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Investitionsbank, des Europäischen Investmentfonds und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und insbesondere auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM und deren Mitarbeiter auszuweiten. Ansonsten würde der Eindruck entstehen, dass Handlungen von Mitarbeitern dieser Organisationen außerhalb des Strafrechts verbleiben und daher in einem quasi rechtsfreien Raum erfolgen. Dies würde dem Gedanken des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in eklatanter Weise widersprechen. Der Deutsche Richterbund fordert daher den Europäischen Gesetzgeber, insbesondere das Europäische Parlament, auf, sicherzustellen, dass zunächst eindeutig definiert wird, was „finanzielle Interessen“ der Union umfasst und danach sicherzustellen, dass sämtliche Verstöße gegen diese finanziellen Interessen umfassend unter strafrechtlichen Schutz gestellt werden.
 
Der Richtlinienvorschlag greift auch insofern zu kurz, als er Aspekte eines Täterstrafrechts, welches die individuelle Schuld des Einzelnen in den Vordergrund stellt, vernachlässigt. Ein solches Täterstrafrecht muss dort, wo in Organisationsstrukturen gehandelt wird und Verantwortung und konkretes Handeln auseinanderfallen bzw. auseinanderfallen können, eindeutige Regelungen für die Zuweisung strafrechtlicher Verantwortung an individuelle Personen aufstellen. Die im Entwurf enthaltenen Vorschriften über die „Haftung juristischer Personen“ und zur Beihilfe und Anstiftung werden diesem Anspruch nicht gerecht. da die nationalen Rechtsordnungen in diesem Bereich unterschiedliche Ansätze verfolgen, ist eine Harmonisierung des Rechts der Zuweisung individueller Schuld unabdingbar und wesentliche Grundlage eines Strafrechts, welches sich in weiten Teilen an Unternehmen und Behörden und die für diese handelnden Personen richtet. Auch hier fordert der Deutsche Richterbund den Europäischen Gesetzgeber auf, den Richtlinienvorschlag wesentlich nachzubessern.

Zu der Vorschrift im Einzelnen:

Rechtsgrundlage:
Die Rechtsgrundlage des Art. 325 Abs. IV AEUV lässt nach Ansicht des Deutschen Richterbundes grundsätzlich auch ein Rechtsinstrument des Strafrechts zum Schutz der finanziellen Interessen der Union zu. Die gewählte Rechtsgrundlage verkürzt jedoch die Reichweite eines solchen Rechtsinstrumentes auf die „Bekämpfung von Betrügereien“ (Art. 325 Abs. IV AEUV; „prevention of and fight against fraud“) zum Nachteil der Union und verschließt so die Möglichkeit, darüber hinausgehende Straftaten, insbesondere im Bereich der Korruption, aber auch des gesamten Geldmarktes, über diese Rechtsgrundlage zu erfassen. Es ist daher bereits fraglich, ob die in Art. 4 des Richtlinienvorschlages erfassten Straftatbestände („betrugsähnliche Straftaten“) von der Rechtsgrundlage des Art. 325 Abs. IV AEUV getragen werden.
 
Hinzu kommt, dass der nach Ansicht des Deutschen Richterbundes notwendige weitere Schritt zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, durch das vorliegende Rechtsinstrument nicht wesentlich gefördert wird. Art. 86 Abs. II AEUV eröffnet die Möglichkeit, einen Europäischen Staatsanwalt zu schaffen, welcher für die Verfolgung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, wie sie in der Errichtungsverordnung definiert werden, zuständig wäre. Art. 86 AEUV begrenzt diese Straftaten, anders als Art. 325 Abs. IV AEUV, nicht auf Betrug. Die nunmehr vorgeschlagene Richtlinie hat zwar den Vorteil, alle Mitgliedstaaten, unabhängig davon, ob sie an der Einsetzung eines Europäischen Staatsanwaltes teilhaben werden oder nicht, zu einer (Teil-)Harmonisierung des Betrugsrechts z. N. der finanziellen Interessen der Union zu bringen; es bringt aber die Union bei der Frage, wie die finanziellen Interessen definiert werden und welche Kompetenzen eine europäische Strafverfolgungsbehörde haben soll und kann, nicht weiter. 

Richtlinie:
Weder die rechtsvergleichenden Untersuchungen noch die Notwendigkeit, eine über den Schutz der finanziellen Interessen hinausgehende Harmonisierung der Betrugsvorschriften vorzunehmen, liegen vor. Der Deutsche Richterbund fordert daher, bereits im europäischen Gesetzgebungsverfahren sicherzustellen, dass eine Übernahme der Regelungen des neuen Rechtsinstrumentes in einer Form erfolgt, welche sicherstellt, dass es nur auf Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union Anwendung findet. Eine doppelte Definition des Betruges, wie es der deutsche Gesetzgeber z.B. für den Begriff des “Abfalls“ in § 326 Abs. I und II StGB geschaffen hat, muss ausgeschlossen werden. Es wäre daher zu überlegen, ob nicht eine Verordnung der richtige Weg wäre, dies sicherzustellen.

Art. II:
Der Deutsche Richterbund teilt die Auffassung des Europäischen Rechnungshofes, dass die Begrenzung der Definition der finanziellen Interessen der Union auf „Haushaltsmittel“ viel zu kurz greift. Damit werden tatsächlich nicht alle Straftaten erfasst, die durch Dritte gegenüber den Mitteln der Union erfolgen. Insbesondere jedoch bleibt das Handeln der Mitarbeiter und Verantwortlichen der Organe, Einrichtungen und Stellen der Union in weiten Teilen strafrechtlich unerfasst. Gerade die Tätigkeit des ESM, der mit Milliarden Euro der Mitgliedstaaten direkt ausgestattet ist und in erheblichem Umfang unmittelbar in das wirtschaftliche Geschehen des Geldmarkts eingreift, muss auch strafrechtlich geahndet werden können.  

Auch wenn es nicht Aufgabe einer Stellungnahme zum Richtlinienentwurf sein kann, über den Vorschlag hinaus eigene Straftatbestände zu entwickeln, wäre doch zu prüfen, ob nicht z.B. das Beihilfeverbot des Art. 107 AEUV so eng mit den finanziellen Interessen der Union verbunden ist, dass zumindest Verstöße von Mitarbeitern von EZB, ESM oder der Europäischen Förderbanken gegen dieses Beihilfeverbot auch strafrechtlich sanktioniert werden müssen. Es ist schwer vermittelbar, dass die finanziellen Interessen der Union, die identisch sind mit den Interessen der Bürger der Union, nicht berührt werden, wenn Mittel, die von den Mitgliedstaaten aufgebracht werden, dazu verwendet werden, unter Verstoß gegen das Beihilfeverbot einzelne Unternehmen oder Branchen durch Einrichtungen der Union gezielt zu fördern. Art. 4 Nr. I des Richtlinienvorschlags sollte daher um eine Regelung erweitert werden, welche die Vergabe öffentlicher Fördermittel der Union unter Missachtung des Beihilfeverbotes unter Strafe stellt.

Auch wäre es nicht zu vertreten, wenn für den Bereich von EZB, ESM und der europäischen Förderbanken die internationalen Vorgaben zur strafrechtlichen Ahndung von Korruption von Mitarbeitern internationaler Organisationen (Art. 9 des Strafrechtsübereinkommens über Korruption des Europarates von 1999, Art. 16 der Konvention der Vereinten Nationen gegen Korruption von 2003) nicht aufgegriffen und umgesetzt würden.

Art. III:
Der Tatbestand des Art. III beruht auf der Vorlage von unrichtigen oder unvollständigen Unterlagen durch den Täter, die zu einer „missbräuchlichen“ Mittelverwendung führen. Da der Richtlinienvorschlag auf keine gewachsene europäische Strafrechtsdogmatik zurückgreifen kann, wären z.B. Ausführungen zum Tätervorsatz, zur Kausalität (was genau ist „missbräuchlich“; wie ist dies z.B. im Vergleich zum englischen „the misappropriation or wrongful retention“ zu interpretieren; liegt Vollendung oder Versuch vor, wenn die Behörde die falsche Information bewusst oder unbewusst nicht in ihre Entscheidung einfließen lässt?) hilfreich, um eine gleichmäßige Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten sicherzustellen. Erforderlich erscheint auch eine Begrenzung des Tatbestandes im Hinblick auf einen Zurechungszusammenhang, der die Tatbestandsverwirklichung dann ausschließt, wenn die Behörde die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen trotz des falschen Vorbringens kennt.

Problematisch erscheint, dass in Art. III a iii - die missbräuchliche Verwendung von Mitteln der EU - auf keinen Zeitpunkt zum Tatentschluss abgestellt wird. Erfolgt der Entschluss zur Zweckentfremdung der gewährten Subventionen erst lange nach Vorlage der Unterlagen und Überweisung der Gelder (weil sich z.B. die finanzielle Situation des Unternehmens in unvorhersehbarer Weise entscheidend verschlechtert hat), erscheint fraglich, ob dies unter den Tatbestand des „Betruges“ subsumiert werden kann. Hier wäre ggf. ein eigener Tatbestand der „Subventionsuntreue“ einzuführen.

Art. IV:
Die von Art. IV aufgegriffenen Straftatbestände sind, zumindest nach deutschem Rechtsverständnis, kaum unter den Oberbegriff „betrugsähnlicher Straftaten“ zu bringen. Daher ist fraglich, ob sie von der gewählten Rechtsgrundlage getragen werden.

Die in Art. IV geregelten Tatbestände wie Umsatzsteuerhinterziehung, Geldwäsche und Korruption sollten jeweils einen eignen Artikel erhalten. 

Inwieweit es notwendig ist, durch eine Richtlinie auf der fraglichen Basis des Art. 325 Abs. IV AEUV die Mitgliedstaaten aufzufordern, die Geldwäscherichtlinie und die internationalen Konventionen zur Korruptionsbekämpfung umzusetzen, erscheint fraglich.

Art. IV Nr.1 erfordert für die Umsatzsteuerhinterziehung eine Klarstellung, wie sich das europäische Strafbedürfnis zur Möglichkeit in Deutschland, eine strafbefreiende Selbstanzeige zu erstatten, § 371 AO, verhält.

Festzuhalten ist, dass Artikel IV Nr. 4 in seiner jetzigen Fassung kaum zu einer Strafbarkeit von Bediensteten der Union führen wird. Die im Vorschlag geforderte Absicht der Vermögensschädigung wird zumindest nach deutschen Recht kaum nachzuweisen sein. Im Regelfall geht es dem Bediensteten um den eignen Vorteil und er nimmt den dadurch entstehenden Vermögensnachteil der Union nur „billigend in Kauf“.

Vorsatzfragen werden in Art. III, IV des Richtlinienentwurfes nicht angesprochen, obgleich auch hier eine Harmonisierung für eine gleichmäßige Strafverfolgung erforderlich erscheint. Gerade im Bereich der hier fraglichen Straftatbestände des (Subventions-)Betruges, der Umsatzsteuerhinterziehung und der Korruptionsdelikte ist eine Abgrenzung zwischen - durch die Richtlinie strafbewehrtem - bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit zumindest im deutschen Recht nicht unumstritten und in der gerichtlichen Praxis oft schwer zu treffen. Hierzu müsste die Richtlinie Vorgaben machen.

Art. V:
Hier fehlt, wie in den Richtlinien zum europäischen Strafrecht leider üblich und oben bereits angesprochen, eine Definition von Beihilfe und Anstiftung. Eine solche Definition wäre insofern notwendig, da die meisten der in Art. III und IV angesprochenen Straftaten ohne Mitwirken eines Dritten, der sich z.B. Gelder auszahlen lässt, solche in Empfang nimmt, Bestechungen leistet oder sich versprechen lässt, nicht durchzuführen sind. Eine genaue Abgrenzung zwischen eigener Tat, Anstiftung oder Beihilfe zu fremder Tat und straflosem Verhalten fehlt jedoch in der Richtlinie. Dabei bleibt insbesondere unscharf, welches Verhalten eines öffentlichen Bediensteten als eigene Tat im Sinne des Art. IV Nr. 4 Richtlinien-Entwurf angesehen wird und ob sich die Beihilfe zur fremden Tat ausschließlich durch die Bereicherungsabsicht, die in Art. IV Nr. 4 gefordert wird, abgrenzt.

Art. VI:
Aus Sicht des Deutschen Richterbundes ist, wie oben angesprochen, wesentlicher Teil eines Unternehmens- und Finanzstrafrechtes, die persönliche Verantwortung handelnder Personen in einem Unternehmen herauszustellen und diese Personen für ihr Fehlverhalten zur Verantwortung zu ziehen. Es ist daher unabdingbar, in einer Richtlinie über die strafrechtliche Bekämpfung von Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union Regelungen zur persönlichen strafrechtlichen Verantwortung von Vorgesetzten und Leitungspersonen innerhalb von Unternehmen und Behörden, insbesondere auch europäischen Einrichtungen, aufzustellen. Diese fehlen im Richtlinienvorschlag vollständig. Die Lösung des Art. VI, Fehlverhalten von Leitungspersonen von juristischen Personen dieser zuzuordnen, greift wesentlich zu kurz. Eine juristische Person ist nur begrenzt strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Die gegen sie verhängten finanziellen Sanktionen treffen nie die eigentlichen Täter, sondern die Eigentümer des Unternehmens, oder im Falle von Behörden sogar alle Bürger, die für dieses Verhalten nicht einzustehen haben, von diesem oftmals keine Kenntnis besitzen und in einigen Fällen sogar erfolglos versucht haben, dieses zu verhindern. Es muss daher sichergestellt werden, dass strafrechtliche Sanktionen diejenigen Personen treffen, welche selbst gehandelt haben oder Handlungen von Untergebenen hätten verhindern müssen und können. Die in Art. VI aufgezählten Verhaltensweisen müssen daher zunächst und zuvorderst zu strafrechtlichen Sanktion der Personen führen, die gehandelt oder unterlassen haben.

Art. VII, VIII, IX:
Nach Auffassung des Deutschen Richterbundes ist das Sanktionensystem der Mitgliedstaaten zu wenig einheitlich, um harmonisierte Sanktionen festschreiben zu können. Auch wenn die Richtlinie nun eine Freiheitstrafe von mindestens sechs Monaten bei Schäden von 100.000 € im Betrugsfall vorsieht, wird dadurch eine Einheitlichkeit der Sanktionierung vorgetäuscht, die tatsächlich nicht erreicht wird. Bereits die Frage, ob diese Freiheitsstrafe ganz, teilweise, nach Teilvollstreckung oder gar nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann oder muss, wann eine Aussetzung erfolgen kann oder muss, zeigt, dass die Festlegung eines Strafrahmens alleine wenig zur Harmonisierung beiträgt. Hinzu kommt, dass Strafen einzelne Straftatbestände immer im Kontext zu Strafen anderer Tatbestände zu sehen sind. Insofern kann der in der Richtlinie vorgegebene Strafrahmen in einigen Rechtsordnungen „richtig“, in anderen jedoch „falsch“ sein und dort das Rechtsverständnis erschüttern. In Deutschland wäre ein Strafrahmen, der selbst für schwerste Betrugsstraftaten zum Nachteil der Union einen Strafrahmen von „nur“ fünf Jahren vorsieht, im Verhältnis zum Strafrahmen des allgemeinen schweren Betruges von zehn Jahren, nur schwer zu vermitteln.

Wird von den Vorgaben der Richtlinie jedoch in der nationalen Umsetzung nach oben abgewichen, führt dies zu einer Bewertung der Einzeltat in einem Strafrahmen, der nicht mehr harmonisiert ist.

Zu definieren wäre, was die einzelne Tat im Lichte der Strafzumessungsregel der Richtlinie umfasst und wie eine Strafzumessung bei Taten zu erfolgen hat, die - nach deutschem Rechtsverständnis - tateinheitlich oder tatmehrheitlich gegen die Richtlinie und nationales Strafrecht verstoßen.

Unklar ist auch, wie mit Sonderproblemen der Strafzumessung, wie z.B. der „rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung“, umzugehen ist und ob auch ein Verfahren nach §§ 154, 154a StPO eingestellt werden kann, weil eine Strafe nicht ins Gewicht fallen würde. 

Art. XI:
Zu kritisieren ist, dass die Richtlinie die Zuständigkeit für die Strafverfolgung weit öffnet und keine Vorgaben enthält, welcher Mitgliedstaat für die Verfolgung welcher Straftaten zuständig ist. Hier ist unabdingbar eine Regelung notwendig, welche klare Kriterien vorgibt, welche örtliche Justizbehörde für die jeweilige Strafverfolgung zuständig ist. Wesentliches Kriterium sollte dabei der Ort der Handlung des Täters sein.    

Art. XII:
Der Versuch, die Verjährungsfragen zu regeln, ist zu begrüßen. Die Vorschrift müsste im Einzelnen jedoch konkreter gefasst werden. So bedarf es einer Klarstellung, wann bei mehrfachen Anträgen über einen längeren Zeitraum hinweg, welche aufeinander Bezug nehmen, die Verjährung hinsichtlich der einzelnen Taten eintritt.

Nicht deutlich ist, was „effektive Aufnahme der Ermittlungen“ im Kontext der unterschiedlichen Prozessordnungen der Mitgliedstaten bedeutet. Geregelt werden müsste auch, ob und unter welchen Voraussetzungen Unterbrechungshandlungen von Strafverfolgungsorganen anderer Mitgliedstaaten verjährungsunterbrechend wirken.

Art. XV:
Nr.1
Es muss selbstverständlich sein, dass sämtliche Dienststellen der Europäischen Kommission, einschließlich der EZB, des ESM und der Europäischen Förderbanken sowie der Verwaltung des Europäischen Parlamentes, zur Amtshilfe gegenüber den ermittelnden Justizbehörden verpflichtet sind, solange die Strafverfolgung von Taten z.N. der europäischen Union nicht durch einen Europäischen Staatsanwalt erfolgen kann. Inwieweit sich die nationalen Strafverfolgungsbehörden dabei OLAF als „Dienstleister“ und „Mittler“ bedienen können, sollte durch die Richtlinie klar geregelt werden; auch der direkte Zugriff auf Unterlagen, Dokumente und das Recht auf Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen ist in Art. XV festzuschreiben.

Abzulehnen ist dagegen die „Hilfe“ der Europäischen Kommission bei der Koordinierung von Untersuchungen, zumindest soweit dies nicht durch OLAF unter dem besonderen Statut von OLAF erfolgt. Eine darüber hinausgehende „Hilfe“, die über „Amtshilfe“ hinausgeht, ist abzulehnen, da Strafverfolgung keine Aufgabe der Europäischen Kommission ist, sondern der Justiz des betroffenen Mitgliedstaates obliegt, die in der gebotenen Unabhängigkeit ihre Ermittlungen durchführen muss.

Nr. 2
Es ist klarzustellen, dass die Informationen, die die nationalen Strafverfolgungsbehörden erhalten müssen, um ihre Aufgabe gerecht werden zu können, nicht im Rahmen eines „Informationsaustausches“ vorgelegt werden, sondern im Rahmen der Amtshilfe vorgelegt werden müssen. Die hierfür erforderlichen Regelungen sind in der Richtlinie festzulegen.

Gleiches gilt für das Recht auf Einsicht in die nationalen Strafakten durch die Europäische Kommission. Hierfür dürfte im Regelfall ein berechtigtes Interesse vorliegen; die Voraussetzungen und Grenzen der Akteneinsicht sind jedoch in der Richtlinie konkret festzulegen.

Der Deutsche Richterbund verkennt dabei nicht, dass das Verhältnis zwischen Behörden der Europäischen Union und den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten nicht das eines Unterordnungs- und Überordnungsverhältnisses ist und sein kann. Er sieht auch, dass die Union verhindern muss, dass ihre Tätigkeit durch - aus Sicht der Union - willkürlichen Maßnahmen von Strafverfolgungsbehörden einzelner Mitgliedstaaten behindert wird. Andererseits kann eine justizförmige Strafverfolgung nicht davon abhängen, ob eine europäische Verwaltung Informationen nach eigener Auswahl zur Verfügung stellt und mit den Strafverfolgungsbehörden hierüber in einen Austausch eintritt. Strafverfolgung muss, um glaubwürdig zu sein, unabhängig von politischem und administrativem Einfluss und unter Zugriff auf alle - aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden - relevanten Informationen erfolgen. Um dieses Dilemma zwischen den Aufgaben der nationalen Strafverfolgungsbehörden und der notwendigen Distanz der Einrichtungen der Union von den Mitgliedstaaten aufzulösen, bedarf es aus Sicht des Deutschen Richterbundes einer Europäischen Strafverfolgungsbehörde, die unabhängig justizförmig ermitteln und anklagen kann, dabei jedoch vom Einfluss der Mitgliedstaaten unabhängig agieren kann. Ohne die Einrichtung einer solchen Europäischen Staatsanwaltschaft kann dieses Dilemma nicht aufgelöst werden. Die, weitgehend missglückte, Regelung des Art. XV zeigt dies.

gez. Dr. Peter Schneiderhan, Mitglied des DRB-Präsidiums